Gemeinsam Russlands Druck widerstehen

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.1.2007, Sektion: FREMDE FEDERN

Die Unterbrechung der Lieferung von russischem Erdöl nach Mittel- und Westeuropa zu Beginn des Jahres hat uns eine außenpolitische Realität vor Augen geführt, die für die ersten Dekaden des 21. Jahrhunderts prägend werden kann. Der russische Präsident Putin hatte schon mit dem Zudrehen des Gashahns für die Ukraine im Winter 2005/2006 gezeigt, in welchem Maße die Versorgungssicherheit russischer Energiekunden von den politischen Ambitionen des Kremls abhängt. Das gilt auch für die EU, insbesondere für ihre Mitglieder im Osten. Russland deckt 34 Prozent des deutschen Gasbedarfs – aber 60 Prozent des polnischen, 70 Prozent des tschechischen, 80 Prozent des ungarischen und 98 Prozent des slowakischen. Die baltischen Staaten sind sogar zu 100 Prozent auf russisches Gas angewiesen.

Die anhaltend starke Nachfrage auf den Energie- und Rohstoffmärkten verleiht dem rohstoffreichen Russland außerordentlich effektive Mittel, seine außenpolitischen Ziele zu realisieren. Das Auftreten Russlands auf der internationalen Bühne zeigt; dass es unter Putin allmählich in die Logik seiner Geschichte zurückkehrt. Der mitteleuropäische Raum zwischen Deutschland und Russland war stets Gegenstand russischen Interesses. Daran hat der Untergang des Kommunismus nichts geändert. Die russische Diplomatie bemühte sich in den vergangenen Monaten und Jahren wiederholt, die neuen Demokratien in Mittel- und Osteuropa, die sich vom russischen Einfluss emanzipiert hatten, von der übrigen EU zu trennen.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat die deutsche Politik richtig erkannt, dass Stabilität und Prosperität des wiedervereinigten Deutschlands auch vom Geschehen in Mitteleuropa abhängen. Es wäre ein riesiger Fehler Berlins, jetzt über die Situation der kleineren Nachbarn im Osten hinwegzuschauen und zu glauben, das Problem der eigenen Energiesicherheit ließe sich durch die Stärkung der bilateralen Beziehungen zu Moskau lösen.

Sollte jedes EU-Mitglied seine Politik gegenüber Russland nur in Eigenregie verfolgen, sollten wir also Putins Szenario des Wetteiferns um die Gunst des Kremls akzeptieren, dann besteht die Gefahr, dass Moskau schrittweise seinen Einfluss auf die Länder östlich der deutschen Grenze zurückgewinnt. Das geopolitische Konzept der Stabilisierung dieses Gebiets durch Europäisierung, das seit der Wiedervereinigung die deutsche Außen- und Europapolitik leitet, bekäme Risse.

Im ureigenen Interesse Deutschlands sowie der ganzen EU liegt eine möglichst starke Einschränkung des Spielraumes der russischen Politik nach dem Prinzip „divide et impera”. Die im europäischen Verfassungsvertrag vorgesehene Stärkung der Handlungsfähigkeit und des außenpolitischen Zusammenhalts der EU ist auch deswegen so wichtig, weil sie ein einheitliches Auftreten gegenüber Russland ermöglichen würde.

In Energiefragen geht es bei der Versorgungssicherheit nicht nur um die Lieferungen von russischen Gasfeldern. In Zeiten, in denen der Energiemarkt im zunehmenden Maße durch die strategischen Interessen der größten globalen Akteure bestimmt wird und in denen die Abhängigkeit von externen Energiequellen das außenpolitische Gewicht der Großmächte schmälert, hat kein europäisches Land die Chance, im Spiel um die Energie alleine zu bestehen. Die Antwort auf den sich verschärfenden Wettbewerb um die Energiequellen muss die EU geben. Falls sie dabei versagt, gefährdet sie den Glauben der Bürger an den Sinn des europäischen Integrationsprojektes.

Mit der gemeinsamen Energiepolitik sollten wir beim Gas anfangen, schon wegen der Verletzlichkeit seiner Lieferstrukturen. Möglichst bald sollte ein gemeinsamer, liberalisierter und auf klare Regeln gestützter europäischer Gasmarkt entstehen. Ein solcher Markt, reguliert durch eine europäische Energiebehörde, würde die nötige Diversifizierung sichern und der EU die Fähigkeit geben, auf dem globalen Energiemarkt die Interessen Europas einheitlich zu vertreten. Die Möglichkeit Russlands, über den Gashahn politischen Druck auf einzelne Länder auszuüben, würde von heute auf morgen verschwinden.

Deutschland hat Anfang des Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Der Erfolg von Bundeskanzlerin Merkel wird daran gemessen werden, ob es ihr gelingt, das Verfassungsprojekt wesentlich voranzubringen. Die Ereignisse rund um die Gas- und Öllieferungen aber haben sogar den Euroskeptikern aus aller Herren Länder klar gemacht, wie dringend notwendig die Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit ist. Diese Gelegenheit sollte die deutsche Präsidentschaft nutzen. Die Verknüpfung der institutionellen Reformen mit der Vergrößerung der europäischen Energiesicherheit könnte der EU jene neue Dynamik verleihen, die sie so dringend braucht.

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