Prager Zeitung, 26. Oktober 2006, Autor : Josef Zieleniec
Die Europäische Union ist mehr als zur Hälfte auf Energiequellen von außerhalb angewiesen. In der Energiepolitik der EU dominiert dabei bisher einerseits die ökonomische Perspektive, wie zum Beispiel die kontinuierliche, aber nicht besonders erfolgreiche Liberalisierung des Binnenmarktes, sowie andererseits die ökologische Perspektive, die in einer künstlichen und fruchtlosen Diskussion über erneuerbare Energie ihren Ausdruck findet. Die strategischen und geopolitischen Überlegungen aber, die in der Zukunft eine Schlüsselrolle in der europäischen Wirtschaft spielen werden, finden in der europäischen politischen Debatte bisher keinen Niederschlag.
Die europäischen Mächte wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien bemühen sich jeder für sich, zukünftige Energiequellen zu sichern. Das tun sie oft ohne Rücksicht oder sogar zu Lasten der Interessen der anderen EULänder. Der Blick auf Russland zeigt, zu welcher Falle dieser Ansatz werden kann. Das gilt für die EU als Ganzes, für einzelne Mitgliedsstaaten und vor allem für die Region, in der wir uns befinden.
Russland ist für Europa der wichtigste Erdöl- und Erdgaslieferant. Gleichzeitig zeigt Putins Russland ganz unverhohlen, dass sie die Energie als Instrument der Großmachtpolitik und der Sicherung von Einflusssphären nutzen wird. Dazu gehört nicht nur die Bestrafung der Ukraine mit hohen Gaspreisen wegen ihrer Orientierung nach Westen oder die russische Drohung an die Adresse Europas, den Export Richtung China umzuleiten. Putin versucht schon seit langer Zeit, Marktmechanismen im Bereich der Energieherstellung und -verteilung einzudämmen und sie durch machtpolitische Mechanismen zu ersetzen. Und das nicht nur in Russland, sondern auch in Europa. Wenn europäische Firmen Zugang zum Fördermarkt haben wollen, wird zur Bedingung gemacht, russischen Unternehmen den Zugang zu den europäischen Distributionssystemen zu gewähren. Das Ziel ist klar – es geht um die Beherrschung des gesamten Energieverteilungprozesses vom Förderturm bis zum Endverbraucher.
Putin verstärkt nicht nur Schritt für Schritt den autoritären Charakter des russischen Staates, sondern kehrt auch spürbar zu traditioneller Großmachtpolitik zurück. Das bekamen bisher vor allem die Nachbarländer zu spüren. Aber Russland verheimlicht seine Ambitionen nicht, die neu erworbene Kraft auch anderswo einzusetzen. Der politisch kontrollierte Energieexport soll für diese Ziele ein Schlüsselinstrument sein. Geschickt nutzt Russland die europäische Uneinigkeit, um seine Position in den bilateralen Beziehungen mit den einzelnen Staaten zu stärken. Offensichtlich sind hierbei die Verbindung mit Deutschland und die Bemühungen, die Kontrolle des Staatsunternehmens Gazprom über die gesamten Verwertungskette – Förderfelder, Verkehrsinfrastruktur, Energiegesellschaften in den einzelnen Ländern – zu festigen. Die enge Verbindung mit Deutschland, die in der Vereinbarung zum Bau der Gaspipeline durch die Ostsee gipfelte und Putins kürzlich in Dresden geäußertes Versprechen, die Lieferung so aufzustocken, dass Deutschland zu einem „großen europäischen Vermarkter russischen Gases” wird, ist im russischen geopolitischen Denken eine alte Tradition. In der Vergangenheit bestand Russlands Ziel immer darin, eine Machtposition gegenüber den Staaten Mittel- und Osteuropas herauszubilden – Regionen, die Russland traditionell als seine Einflusssphäre betrachtet.
Die Nicht-Existenz einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik verhindert nicht nur eine europäische Teilnahme an der Bildung globaler Energieverhältnisse, sondern stellt den Alten Kontinent auch in ein sehr sensibles Verhältnis zu Russland, wobei die Länder zwischen Deutschland und Russland besonders gefährdet sind.
Wenn die EU sich nicht um eine gemeinsame Energie-Zukunft kümmert und Russland weiterhin erlaubt, nach der Strategie „teile und herrsche“ vorzugehen, wird Europa als Ganzes und viele EU-Staaten einen hohen politischen Preis für das Gas zahlen. Die Tschechische Republik bezieht 75 Prozent ihres Gasverbrauchs und 90 Prozent ihres Erdöls aus Russland. Dabei befindet sie sich aus dem Blickwinkel der russischen „Gasdiplomatie“ in der geopolitisch sensibelsten Region. Unser nationales Interesse ist deshalb untrennbar mit der Existenz einer gemeinsamen europäischen, einheitlichen Energiepolitik verbunden.