Europa als Programm

Prager Zeitung | 20.4.2006 | : Politik | : 5 | : Von Stephan Vodicka

Zwei liberale Parteien verschmelzen zu einer – Spitzenkandidaten sind ein Ex-Außenminister und ein Ex-Oberbürgermeister

Mit zwei politischen Schwergewichten wollen die Vereinigung unabhängiger Kandidaten und die Europäischen Demokraten in den Wahlkampf ziehen. Josef Zieleniec, ehemaliger Außenminister Tschechiens, wird die “politische Führung” übernehmen. Obwohl er seit 2004 EU-Abgeordneter ist, es auch weiterhin bleiben will und deshalb als Kandidat für das tschechische Abgeordnetenhaus nicht zur Verfügung steht.

Allerdings verfügt er als ehemaliger Spitzenpolitiker über einen hohen, Bekanntheitsgrad und ein positives Emage, womit sich die Partei bessere Chancen in den Wahlen verspricht.

Ihm zur Seite steht Prags ehemaliger Oberbürgermeister Jan Kasl. Der bisherige Parteichef der Europäischen Demokraten (ED) soll die Funktion des “ausführenden stellvertretenden Vorsitzenden” übernehmen. Sowohl Zieleniec als auch Kasl gehörten früher der Bürgerlichen Demokratischen Partei (ODS) an, schieden aber wegen tiefer Differenzen aus. Zieleniec verließ die Partei bereits 1997 und schloß sich später der SNK an. Kasl gründete zur Zeit des umstrittenen “Oppositionsvertrags”, als die ODS unter Václav Klaus mit den regierenden Sozialdemokraten unter Miloš Zeman eine verdeckte Zusammenarbeit vereinbart hatte, die Partei der Europäischen Demokraten.
Auf einem gemeinsamen Parteitag Ende Januar 2006 schloss sich die Vereinigung unabhängiger Kandidaten (SNK) mit den Europäischen Demokraten (ED) zusammen. Nach monatelangen Verhandlungen einigten sich die zwei Parteien darauf, als eine Neuformation unter dem gemeinsamen Namen “Vereinigung unabhängiger Kandidaten -Europäische Demokraten” (SNK-ED) in den Wahlkampf zu ziehen. Damit hoffen die Protagonisten an den Erfolg der Europa-Wahlen von 2004 anzuknüpfen. Beide Parteien traten vor zwei Jahren in einer gemeinsamen Koalition an und nicht als eine Partei. Zur großen Überraschung errang die Koalition auf Anhieb mehr als elf Prozent und schickte drei Kandidaten in das Europäische Parlament. Damit war sie erfolgreicher als alle Regierungsparteien. Und das obwohl der SNK-ED-Koalition in Umfragen nur minimale Chancen eingeräumt wurden. Für die Wahlen 2006 hat sich die SNK-ED ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: sie will erneut mindestens dieses zweistellige Ergebnis erreichen.

Programmatik

Die SNK-ED bezeichnet sich als eine moderne pro-europäische Partei der rechten Mitte. Sie versucht, unentschlossenen und enttäuschten Wählern eine Alternative zu den Parlamentsparteien zu bieten. Gleichwohl ist sie eine stark liberale Partei. Sie tritt für den Abbau der Steuern ein, will die Ministerien reduzieren, die Direktwahl des Staatspräsidenten sowie mehr direkte Wahlen auf Kreisebene durchsetzen. Zudem macht sie sich stark für eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes, für die Deregulierung der Mieten, für mehr Selbstbeteiligung an den Kosten für die medizinische Fürsorge sowie bei der Rentenversicherung.

Wie andere Parteien auch erklärt sie den Kampf gegen die Korruption zu einer der Prioritäten. Die SNK-ED will allerdings mit einem radikaleren Rezept als die Konkurrenten gegen dieses wuchernde Krebsgeschwür vorgehen: ihr Augenmerk soll vor allem den Politikern und Beamten gelten. Die Immunität der Parlamentarier soll aufgehoben werden, Integritätstests – zum Beispiel durch vorgetäuschte Bestechungen – sollen eingeführt werden. Außerdem will sie geständige Straftäter, die zur Aufdeckung von Korruption beitragen, mit einem deutlich geringeren Strafmaß belohnen.

Koalitionspotential

Die neue Partei plant keine weiteren Erweiterungsrunden mit anderen politischen Parteien. Das bedeutet vor allem, dass sie sich mit der ebenfalls liberalen, sich aber langsam auflösenden Freiheitsunion (US-DEU) nicht zusammenschließen will, obwohl diese ein gewisses Interesse gezeigt hatte und schon Gespräche geführt wurden. Das heißt aber nicht, dass sich die SNK-ED Politikern verschließt, die aus unterschiedlichen Gründen zu ihr wechseln wollen und ähnliche Standpunkte vertreten wie sie selbst. Zum Beispiel wird einer der bekanntesten Politiker der US-DEU, Svatopluk Karásek, der noch im Dezember erfolglos für den Vorsitz der US-DEU kandidierte, voraussichtlich beitreten. “Ich werde mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Angebot zum Eintritt in diese Partei nicht ablehnen”, bekräftigte der auch beim Zusammenschluss der SNK-ED Anwesende.
Wenn dieses neue Bündnis tatsächlich bei den kommenden Wahlen die

FünfProzent-Hürde überschreiten würde, könnte sie als möglicher Koalitionspartner einer größeren Partei eine Rolle spielen. Insgesamt betrachtet, steht ihnen unter den Parlamentsparteien sicherlich ideologisch die konservativ-liberale ODS als größte Oppositionspartei und Wahlfavorit am nächsten.

Der auffallendste Unterschied zur ODS ist jedoch die Einstellung zur EU. Während die ODS – allen voran ihr Ehrenvorsitzender, der tschechische Präsident Václav Klaus – stark EU-kritische Töne anschlägt, verfolgen sowohl die ED, als auch die SNK, immer eine deutlich pro-europäische Politik. So sagte Zieleniec Anfang des Jahres der Tageszeitung “Právo”, dass aus programmatischer Sicht ihnen zwar die ODS nahe stehe, bezeichnete sie aber gleichzeitig als eine Partei “extremer Projekte, arroganter Rhetorik und hysterischer antieuropäischer Einstellung”. Bei der EU-Politik steht der SNK-ED die Tschechische Sozialdemokratische Partei näher, weil sie “eine sachliche Einstellung zur europäischen Idee hat und die Integration Tschechiens in die EU bewältigte”, sagte Zieleniec bei dem Parteitag kurz vor dem Zusammenschluss der zwei Parteien. Jedoch stört ihn die “traditionelle linke Verantwortungslosigkeit” der Sozialdemokraten, die er im Hinblick auf die tschechische Wirtschaft als ein großes Problem sieht. Die SNK-ED will sich auf keine Koalitionsaussage einlassen und lässt die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit in mehrere Richtungen offen.

Gegenwärtige Lage

Nach aktuellen Wahlprognosen scheitert die Partei an der Fünf-Prozent-Hürde. Ob ihr eine Wiederholung des Ergebnisses von 2004 gelingen wird, ist deshalb überaus fraglich. Das Wählerverhalten bei Europawahlen kann nicht mit dem bei Parlamentswahlen verglichen werden. Die Wahlbeteiligung lag 2004 unter 30 Prozent und die SNKEDKoalition trat für einen stark proeuropäischen Kurs ein, was ihnen wohl die Gunst vieler überzeugter EU-Befürworter einbrachte. Deren Anzahl ist seitdem in Tschechien gesunken. Trotzdem hat die Partei möglicherweise eine Chance. Als Alternative zur konservativliberalen, aber EU-skeptischen ODS und zur ebenfalls liberalen, aber untergehenden US-DEU könnte sie durchaus ein nicht unbedeutendes Wählerpotential ansprechen.

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STECKBRIEF SNK-ED

Mitte April 2006 hatte die Partei 832 Mitglieder. Im Abgeordnetenhaus des Tschechischen Parlaments verfügt sie über keine Sitze, im Oberhaus, dem Senat, gehören ihrer Fraktion 7 Senatoren an, davon wurden 4 für die SNK-ED gewählt. Die Partei konnte drei Abgeordnete ins Europäische Parlament schicken.
2002 kandidierte nur die Partei der unabhängigen Kandidaten (SNK) und erhielt 2,78 Prozent der Stimmen, die Europäischen Demokraten gab es noch nicht.
* 2002 kandidierten KDU-ČSL und US-DEU gemeinsam als Koalition
Quelle: Factum/ Grafik: PZ

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